domingo, 14 de marzo de 2010

HARNONCOURT über KUNST

Interview mit Nikolaus Harnoncourt

"Ein Künstler kann nicht lügen"

Anlässlich seines 80. Geburtstags sprach der Stardirigent Nikolaus Harnoncourt mit der FR darüber, wann Musik schlecht und wieso der Kunstbegriff heute ein verwässerter ist.



Herr Harnoncourt, der Komponist Wolfgang Rihm bemerkte einmal, Kunst sei erst dann moralisch, wenn sie Gegenwelt sei. Stimmen Sie dem Diktum zu?

Ich war seit je der Meinung, dass Kunst oppositionell ist. In dem Moment, wo sie einem Zweck oder einer Person dient, wo sie gekauft wird, ist sie schlecht. Es ist doch interessant, dass die ganz großen Mäzene nicht so waren; die haben die Künstler machen lassen. Denken Sie nur an die demaskierenden Porträts von Tizian oder an die bedeutenden Werke von Michelangelo. In der Musik ist es genau das Gleiche. Es ist unmöglich, einen Lobgesang zu bestellen.



Gegen was stellt sich Kunst?

Sie stellt sich nicht gegen irgend etwas. Sie ist wie ein Seismograph, der die geistige Situation einer Zeit darstellt. Diese Situation lässt sich nicht positiv darstellen. Die Situation einer Zeit ist zugleich die Not einer Zeit.



Wie ist die geistige Situation unserer Zeit, die eine allzu schnell voranschreitende scheint?

Ich empfinde sie als beängstigend.



Kann Kunst auf dieses Tempo überhaupt noch reagieren?

Das hängt davon ab, welche Kunst wir meinen. Man hat den Kunstbegriff, wie ich finde, sehr verwässert. Für mich ist die wirklich bleibende Kunst nur das ganz Große, neben einem Haydn und Mozart etwa verschwindet ein Dittersdorf. Es ist notwendig, dass Gebrauchskunst geschaffen wird. Aber man sollte sie nicht mit großer Kunst verwechseln.



Gibt es eine musikalische Wahrheit und somit eine Definition von Größe?

Diese Frage hat so viele Facetten, dass sie kaum zu beantworten ist. Was ist überhaupt Wahrheit? Gibt es das? Lassen Sie es mich so sagen: Kunst ist immer wahrhaftig. Ein Künstler kann nicht lügen. Aber man wird kaum anerkennen, dass Kunst die Wahrheit darstellt. Sie stellt wie nichts anderes die geistige Situation einer Zeit dar, das sehe ich an der Kunst der Vergangenheit wie der Gegenwart.



Ist die Reinheit der Kunst Utopie?

Wenn der Moralbegriff in die Kunst kommt, sind Kategorien wie "Gut" und "Böse", "rein" und "schmutzig" vorhanden. Ein reiner Klang, sagen wir, ein Sinuston, ist fast nicht auszuhalten. Schönheit ist für mich definiert durch die Qualität des Schmutzes darin. Der Ton einer Stradivari unterscheidet sich vom Ton einer guten neuen Geige dadurch, dass darin Geräusch und eben Schmutzfasern enthalten sind, die ihm erst wirkliche Schönheit verleihen.



Ist Musik sprachähnlich?

Jede Kunst ist Sprache. Ich glaube kaum, dass man anderer Meinung sein kann. Kunst folgt den Gesetzen der Sprache, der Grammatik. Sie hat sehr viele Ebenen. Musik ist ähnlich gebaut wie eine Zwiebel. Oberflächlich gesehen ist sie einfach da; man genießt sie und meint, dass man das, was da gesagt wurde, mitbekommen hat. Das ist ein Teil der Botschaft. In dem Moment, wo ich die Sprache kenne, bin ich einige Schalen tiefer eingedrungen, ich erfahre Dinge, die derjenige, der einfach nur die Oberfläche anschaut, nie erfahren wird - was ein trauriger Aspekt in der Kunst ist. Jemand, der die Grammatik nicht beherrscht, wird sich womöglich schwerlich erschüttern oder bis ins Innerste aufreißen lassen können. Aber es gibt gewiss ebenso eine direkte emotionale Erfahrung, die ohne Wissen auskommt.



Schuberts "Winterreise" berührt vermutlich auch Menschen, die nicht wissen, wie schmerzlich die leeren Quinten am Ende von der Leere der Welt erzählen.

Genau aus diesem Grund habe ich nach siebzehn Jahren als Cellist den Orchesterdienst quittiert. Ich saß ja immer mit dem Gesicht zum Saal hin. Als ich zum zwanzigsten Mal die g-Moll-Symphonie von Mozart spielte, und die Leute begannen zu lächeln und im vermeintlich richtigen Takt den Kopf zu wiegen, da wurde mir grausam zu Mute. Ich bekam einen heiligen Zorn auf den Dirigenten, der das Werk so spielte, dass derlei möglich wurde.



Nachdem Sie das Orchester verlassen hatten, führte Sie Ihr Weg durch die Musikgeschichte von Monteverdi über Haydn und Mozart bis zu Verdi und kürzlich auch zu Gershwin. Dem Bild des Experten für alte Musik entspricht das kaum. Sehen Sie sich einem Missverständnis seitens der Rezeption ausgesetzt?

Immer schon. Ich habe mich mit Händen und Füßen dagegen gewehrt, als Spezialist bezeichnet zu werden. Nur in der ersten Zeit des Concentus Musicus haben wir bewusst die Grenzen abgesteckt; die aber reichten schon vom Papsthof in Avignon bis zum späten Haydn. Andererseits reichte mein musikalisches Interesse immer bis zur Gegenwart. Es hat nicht ein Jahr gegeben, in dem ich keinen Schubert gespielt oder mich mit Dvorák und Strawinsky auseinandergesetzt habe.



Schuberts Bühnenwerke werden sträflich vernachlässigt, was Sie einmal als Wunde bezeichneten. Blutet sie noch?

Ja. Aber ich weiß ja nicht, wie sich diese Welt entwickelt. Vielleicht gibt es eines Tages eine Schubert-Renaissance, und seine Opern werden so wichtig, dass sie aufgeführt und bewundert werden.



Das ist der Blick nach vorn. Schauen Sie auch zurück, was Sie hinterlassen haben?

Ich werde natürlich von anderen immer wieder mit der Nase auf meine Vergangenheit gestoßen. Dennoch: Mein Blick ist künstlerisch kein rückwärts gewandter. In meiner Musik bin ich nur Jetzt und Morgen.






Zur Person


Nikolaus Harnoncourt, eigentlich Johannes Nicolaus Graf de la Fontaine und d´Harnoncourt-Unverzagt, gehört zu den Protagonisten der so genannten historisch informierten Aufführungspraxis und ist einer der gefragtesten Dirigenten des Musikbetriebs.

Frisch erschienen sind von ihm eine Einspielung von Gershwins "Porgy und Bess" im Geiste des Verismo (Sony/RCA) und Bachs Kantaten BWV 140, 61 & 29, mit dem von ihm gegründeten Concentus Musicus und dem Arnold Schönberg Chor.

Zahlreiche Bücher von und zu Harnoncourt sind (wieder) erschienen, darunter seine "Mozart-Dialoge" (Residenz-Verlag) und "Oper sinnlich. Die Opernwelten des Nikolaus Harnoncourt" von Johanna Fürstauer und Anna Mika (ebenfalls Residenz Verlag). Heute, am Vorabend seines Geburtstags, dirigiert er Haydns "Die Welt auf dem Mond" im Theater an der Wien. (fr) Sie stellt sich nicht gegen irgend etwas. Sie ist wie ein Seismograph, der die geistige Situation einer Zeit darstellt. Diese Situation lässt sich nicht positiv darstellen. Die Situation einer Zeit ist zugleich die Not einer Zeit.

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