domingo, 14 de marzo de 2010

HARNONCOURT & WAGNER

Nikolaus Harnoncourt wagt sich beim Styriarte-Festival in Graz zum ersten Mal an Wagner


Was würde das werden? High Noon? Ein Gang nach Canossa? Der Beginn einer neuen Leidenschaft? Nikolaus Harnoncourt hat sich in Graz, der Stadt seiner Jugend, mit einem Feind aus alten Tagen getroffen. Mit "Herrn Herrn Richard Wagner", wie ihn Anton Bruckner überwältigt nannte. Eine Begegnung, bei der man mit allem rechnen musste.

Schließlich war es vor allem Wagners Bann, gegen den die Experten der historischen Aufführungspraxis einst ihre Barockbögen spannten. Der altböse Zauberer hatte die Ohren mit unendlichen Melodien umgarnt, bis sie die Musiksprache des 18. Jahrhunderts nicht mehr verstanden - und Harnoncourt alles von vorn erklären musste. Einerseits. Andererseits ist es ja alles gar nicht so antipodisch.

Auch Wagner war ein Klangredner. Längst sind die Aufklärer mit ihren historischen Instrumenten von Roger Norrington bis John Eliot Gardiner in die Werkstatt der Romantik eingedrungen, Harnoncourt hat auf seinem Umweg zu Wagner hinreißenden Bruckner gespielt und war sowieso nicht nur der Darmsaitenpurist, als den ihn Wolfgang Hildesheimer ("handgebastelt und missgestimmt") vor vielen Jahren geißelte.

Mit herbem schartigen Klang und desillusionierenden Geigen

Und dennoch lockt der Ruch von heikler Nähe, wenn sich Harnoncourt nun, vor seinem 70. Geburtstag, auf dem für und um ihn eingerichteten Styriarte-Festival ausgerechnet den großen romantischen Nebelwerfer vornimmt, um den er so lange einen großen Bogen gemacht hat. Und dazu bekennt: "Ich hab so einen kleinen empfindlichen Nerv an irgendeiner Stelle, der mit Richard Wagner besetzt ist. An irgendeiner Stelle meines Körpers."

Um die Allergie in Grenzen zu halten, kam der Dirigent in Begleitung zweier Schutzheiliger, die mit Wagner auch noch ein Hühnchen zu rupfen haben könnten. Robert Schumann, vertreten durch das liebevoll realisierte Mignon-Requiem, hatte Wagners Herablassung zu spüren bekommen. Und Felix Mendelssohn Bartholdy wurde von dem kleinen Sachsen nicht nur beklaut, sondern auch verhöhnt - so verwischte Wagner Spuren. Es ist schon eine Pointe, wenn man in Graz in Mendelssohns Melusine-Ouverture jenes schimmernde Gewoge vom Cello hochschwurbeln hört, das fürs Rheingold dann ausgewalzt wurde. Und amüsant, wenn das Chamber Orchestra of Europe jäh auf einem Septakkord verstummt, der Dirigent sich lächelnd zum Saal wendet und wie im Schulkonzert erklärt, worum es in dem Stück geht.

Zu Wagner sagte Harnoncourt vorerst nichts. Er krempelte gleichsam die Ärmel hoch und griff sich die Tannhäuser-Ouverture. Mit herbem, schartigem (nicht darmbesaiteten!) Klang und desillusionierend getrennten Geigen. Im Venusberg veranstaltete er ein derartiges Getöse, dass man nur staunen konnte, wie gut diese Musik auch unter solchen Strapazen funktioniert. Harnoncourt trat Wagner mit offenem Visier gegenüber und forcierte die Artikulation (wie etwa im Auftakt zum Pilgerthema). Das Ergebnis war rüde, aber erfrischend.

Im Tristan, erklärte Harnoncourt, werde vermittels der Chromatik die Dominante entmachtet: Die Dominante aber sei die Moral. "Vielleicht können Sie damit etwas anfangen." Na ja, an Moral fehlt es der Welt, seit Wagner wütete, aber ist er nun schuld am 20. Jahrhundert? Oder wollte er davor warnen? Und sind nicht doch eine Menge Dominanten übrig geblieben im Tristan?

Das Vorspiel klang, als wolle der Dirigent die gewissenlosen Modulationen trockenlegen. Dabei wählte er die Tempi moderat. Keine Hektik wie bei Norrington, keine Ewigkeiten wie bei Levine, sondern ein vager Mittelweg. Der fließenden Horizontale mag sich Harnoncourt nicht hingeben, und Wagner ist weit weg, wenn das Orchester seine Farben zerlegt.

Und an Übereinkunft fehlt es ja auch, wenn ausgerechnet der berühmte Tristanakkord in den Holzbläsern nicht zusammen ist oder im Solo das Englischhorn nicht weiß, wo der Dirigent den Einsatz haben möchte. Die wunderbare Mezzosopranistin Violeta Urmana hatte zwar mit den Höhen des Liebestods keine Probleme, kümmerte sich aber mehr um die Schlusskonsonanten als um die Verklärung ihrer Passion.

Keine Erleuchtung also, keine Versöhnung. Sondern verschärft die Frage, warum eigenwillige Köpfe bei Wagner so oft Berührungsängste haben. Nietzsche, selbst so ein Allergiker, meinte dazu: "Ich vertrage nichts Zweideutiges."

Was bei ihm das Ende einer wunderbaren Freundschaft war, hätte in Graz ein Anfang werden können. Aber beim High Noon ist am Ende doch immer einer zu viel.

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