Piano ist Italienisch und heißt pscht! (4/2005)
Der Dompteur und sein Flohzirkus: Dirigiert Nikolaus Harnoncourt ein Jugendorchester, kommen Hammer, Pfeffer und Matschker ins Spiel.
Michael Tschida, April 24, 2005
Nikolaus Harnoncourt beim Proben zuzusehen, ist ein Genuss für sich. Einmal jagt er Cecilia Bartoli mit Vergnügen über die Koloraturhürden einer Haydn-Arie und schwärmt anschließend im Lift, mit Strohhut und in Schlapfen, von seinem Refugium am Attersee. Einmal scherzt er bei den Vorarbeiten zu Offenbachs Operette „La Grande Duchesse de Gérolstein“ über den Duracell-Hasen, der – wie von Regisseur Jürgen Flimm vorgeschrieben – an seinem Pult vorbeihoppelt und dem er bei der Aufführung den Hals umdrehen sollte; dem Hasen, wohlgemerkt.
Aber proben mit Kindern sah ich bisher noch nie. Doch, einmal, wenn man so will. Mit meiner einen Monat alten Tochter im Tragetuch kiebitzte ich einmal bei Bachs h-Moll-Messe. Wie es der Engel so haben wollte, fing sie just in einer Pianissimo-Stelle zu quengeln an. Harnoncourt unterbrach prompt, drehte sich um und sagte ganz gelassen: „Ich liebe Kinder, aber im Moment stören sie.“ Der Vater hochrot vom peinlich Berührtsein, die Tochter vom Plärren.
Rote Wangen hatte gestern zum Beispiel auch der achtjährige Richard an den Pauken. „Jetzt folgen einmal alle dir“, wünscht sich Harnoncourt von den 221 Jungmusikern, die sich für ein Konzert in Wien bei einem Probentag in Kapfenberg unter seine Fittiche begeben haben. „Ihr müsst so spielen, als ob ihr mit einem riesigen Hammer einen Holzpflock im Garten einschlagen würdet“, treibt er das Orchester für den Auftakt zu Charpentiers „Te Deum“ an, das uns für gewöhnlich als Eurovisions-Melodie um die Ohren fliegt. Dann singt er seine Idee noch einmal vor: „bamBAM – Beistrich! – badabambambaabaa – Rufzeichen!“.
Ja, der Mann liebt Kinder. Und er kann bestens mit ihnen. Das weiß auch Ernst Smole, Direktor der Mürzzuschlager Musikschule, der den Stardirigenten erstmals für sein „Mur-Mürztaler Jugendsinfonieorchester“ gewinnen konnte. „Da is einfach a Elan drin“, wird die Geigerin Vera später sagen und die Cellistin Daniela lachend assistieren: „Ja, des is schon a bissl anders wia mit unsren Dirigenten.“
Der Dompteur und sein Flohzirkus: Harnoncourt lässt seine Arme wirbeln, geht beim Pianissimo in die Knie, stampft auf, feuert das Orchester beim Finale des „Te Deum“ an, zittert wie ein Aal: „Das müsst’s so spielen, als ob ihr in eine Steckdose reingreift.“
Kontrabass-Noten fliegen, ein Klarinettist kaut Kaugummi, eine Cellistin schickt rasch ein SMS, die Trompeter hauen sich ab, weil die Kollegen in der hinteren Reihe lautstark in die Pausenfalle getappt sind . . . Nun, wenn Sechs- bis Achtzehnjährige mit vollem Ernst bei der Sache sind, kann’s schon auch lustig zugehen. „Lasst’s mich nicht so schreien, ich bin ja schon ein alter Mann!“, weiß Harnoncourt aber rechtzeitig einzulenken.
„Zunächst lassen wir die Flöten einmal ganz traurig sein, die haben Heimweh nach Rumänien und das Meer ist dazwischen“, sagt der 75-Jährige nach den ersten Takten von Franz Koringers „Südosteuropäischen Tänzen“. Und für die leisen Stellen wird er zum Übersetzer: „Piano ist Italienisch und heißt ,pscht!‘. Im Konzert kann ich dann nicht ,pscht!‘ hineinrufen.“
Erst als es synkopisch wird, spornt er seine Jungmusiker an: „So, und jetzt rumänischen Pfeffer drauf! Seid’s schon einmal Flöte spielend auf einem Grill gesessen? So muss es klingen. Und bei den Posaunen müssen gelbe Funken rausfliegen.“ Wenn der Maestro will, funkt’s wirklich. Aber er fordert von allen noch mehr: „Könnt’s ihr da explodieren?“. 221 können.
Beim Violinkonzert von Oskar Rieding mit der erst siebenjährigen Antonia muss Harnoncourt die Ausgelassenheit allerdings erst wieder bändigen. „Ihr spielt’s ja, als ob ihr sagt’s: ,Die Solistin, die zermatschkern wir jetzt.‘ So soll’s nicht sein. Denkt euch einfach, es würde ein Text unter der Einleitung stehen und der heißt: Was haben wir da für eine tolle Geigerin.“ Der zweite Anlauf ist schon kein Matschker mehr und Antonia darf ihre Geige blühen lassen. Gerade als alle so richtig in Schwung sind, pocht Direktor Smole auf die verdiente Mittagspause: „Sie müssen nur ein Wort sagen – und ich bin mit dem Schleudersitz schon weg“, verspricht Harnoncourt.
Aber so schnell kommt er seinen jungen Fans nicht davon. Autogramme in Partituren und auf Schmierzettel, Handyfotos für daheim. Auch Ilena bittet den hohen Gast um ein gemeinsames Foto. Die Austauschschülerin aus Sydney schwärmt: „He gets such an amazing sound. And instantly it happens what he wants.“ Die 17-jährige Cellistin freut sich schon darauf, ihren tschechisch-indonesischen Eltern das Bild und die Nachricht nach Australien schicken zu können: „I played with Harnoncourt in Vienna.“
Konzert des Mur-Mürztaler Jugendsinfonieorchesters unter Nikolaus Harnoncourt zur Eröffnung eines Geophysiker-Kongresses heute (15 Uhr) im Austria Center Vienna.
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