Nikolaus Harnoncourt im Gespräch über barockes Musical, romantische Oper und Krise (12/2003)
„Was ist der ,King Arthur'? ,King Arthur' ist ein Musical. Und das Musical des 17. Jahrhunderts ist ja noch nicht so erforscht. Wir wollen nicht eine Aufführung des 17. Jahrhunderts machen, sondern sehen, was uns das heute zu sagen hat. Das ist das Entscheidende - Regisseur Jürgen Flimm und ich lassen uns vom Stück inspirieren und tauschen unsere Erfahrungen aus.“
„Krise ist höchstens, dass wir einen Mist für Kultur halten.“ - Interview with Nikolaus Harnoncourt by Walter Dobner for „Die Presse“ (5 December 2003).
„Was ist der ,King Arthur'? ,King Arthur' ist ein Musical. Und das Musical des 17. Jahrhunderts ist ja noch nicht so erforscht. Wir wollen nicht eine Aufführung des 17. Jahrhunderts machen, sondern sehen, was uns das heute zu sagen hat. Das ist das Entscheidende - Regisseur Jürgen Flimm und ich lassen uns vom Stück inspirieren und tauschen unsere Erfahrungen aus“, erzählt Nikolaus Harnoncourt von den Vorbereitungsarbeiten für seine Opernpremiere bei den kommenden Salzburger Festspielen. Dort wird er auch mit seinem Concentus Musicus und den Wiener Philharmonikern konzertieren, mit denen er eben erst mit Haydns „Schöpfung“ in Rom war.
Wenn er diese Aufführung am 8. Dezember im Wiener Musikverein wiederholt, liegt auch seine neueste Einspielung dieses Werkes bereits vor. Dabei handelt es sich freilich um den Mitschnitt jenes Konzerts vom Musikverein im Mai, mit dem der Concentus Musicus sein fünfzigjähriges Bestehen gefeiert hat. „Es ist für uns uninteressant, ein Werk nur deswegen aufzunehmen, weil es schon einmal aufgenommen worden ist“, begegnet Harnoncourt im Voraus der Kritik, Werke mehrfach einzuspielen.
Tatsächlich hat er nur wenige Werke aus seinem längst vom Barock bis zu Bartók reichenden Repertoire mehrmals aufgenommen. „Damals war es neu und musste gemacht werden, weil es neu ist und weiter getragen werden muss. Wir wollten nicht nur etwas monopolmäßig machen. Aus diesem Grund sind gewisse Eckpunkte zweimal aufgenommen worden, aber nur ganz wenige“, erklärt Nikolaus Harnoncourt, warum er Bachs Brandenburgische Konzerte, die Matthäus- und die Johannes-Passion doppelt eingespielt hat. Und den kürzlich erfolgten Mitschnitt des Mozart-Requiems, das damit ebenfalls in einer zweiten Harnoncourt-Einspielung vorliegen wird, begründet der Dirigent damit, dass er es bisher erst ein einziges Mal, anlässlich eines Allerheiligen-Konzerts des Wiener Staatsopernchors, aufgeführt hat: „Das muss 1981 gewesen sein.“
„Eher als Zufall“ sieht es Harnoncourt, dass zuletzt drei Einspielungen mit Musik der Romantik von ihm herausgekommen sind: Bruckners „Neunte“ und Smetanas „Mein Vaterland“ sowie das Dvořák-Klavierkonzert mit Aimard. „Die Firma, bei der wir vorher waren, hatte ein genaues Konzept, was wir mit dem Concentus machen und was mit anderen. Da gab es natürlich einen Plan, wann was veröffentlicht wird“, vergisst er nicht auf seinen mittlerweile erfolgten Wechsel von einer zu einer anderen Plattenfirma hinzuweisen, die nun ebenfalls überlegen muss, wie sie die bereits fertigen Produktionen mit ihm auf den Markt bringt: „Das muss ja Hand und Fuß haben, die würden sich ja selbst Konkurrenz machen.“
Eine Krise der Klassik kann Harnoncourt nicht erkennen, wohl aber eine der Kultur und der Erziehung: „Die Kultur ist in einer großen Krise. Weltweit wird die Kultur von einer Art Merkantilismus aufgefressen. Das ist eine der großen Ängste, die ich habe. Man sieht nur, es muss etwas Geld einbringen und es muss etwas in die merkantile Ordnung hineinpassen. Dass die Kultur einfach eine Lebensnotwendigkeit ist, um die wir weinen werden, wenn wir sie nicht mehr haben, das wird nicht gesehen. Wenn man von Krise reden kann, ist es eine Krise der Erziehung. Jeder, der Kinder hat, weiß, dass es eine Katastrophe ist, Kinder ohne Kultur aufwachsen zu lassen und etwas mit Kultur zu verwechseln, was keine Kultur ist. Kindern müssen genau in dem Alter, in dem sie die Sprache lernen, mit allen Künsten, mit den Augen- und mit den Ohrenkünsten genauso, vertraut gemacht werden. Wenn man das nicht einsieht, hindert man die Kinder, rechtzeitig ihr volles Menschsein zu entfalten. Das ist ein unverzeihlicher Fehler. Wie kann ein Mozart, ein Bach, ein Ligeti in der Krise sein? Der ist ein Seismograph, der das aufzuzeichnen hat, was die Welt darstellt - und das tut er. Krise ist höchstens, dass wir einen Mist für Kultur halten.“
Schuld an dieser Entwicklung ist für Harnoncourt, dass ausschließlich wirtschaftliche Zahlen als Gradmesser für Lebensglück gelten. Und das, „obwohl noch kein Mensch glücklich geworden ist dadurch, dass er etwas mehr hat. Allein, dass man Materialwerte als Werte bezeichnet, ist ein Fehler.“
Vielfach sind die musikalischen Werte, auf die er sich diese Saison konzentriert: mit den Berliner Philharmonikern realisiert er - „auch mit Alfonso und Estrella“ - einen Schubert-Zyklus, musikalisch-literarische Programme wie Beethovens gesamte „Egmont“-Musik mit dem Concertgebouw-Orchester in Amsterdam. Besonders sorgfältig bereitet er sich auf sein „Philharmonisches“ mit Bruckners Fünfter kommenden Juni vor. „Solange meine Ohren funktionieren und ich mich dem Fach gewachsen fühle“, ist Harnoncourt voll weiterer neuer Pläne. Alles will er nicht verraten, aber „einen wirklichen Schlüssel zu finden für die deutsche Oper“ ist einer seiner größten Wünsche. Denn damit würde die „ewige falsche Reaktion wegfallen: herrliche Musik - blöder Text, die man immer hat, wenn man von Mozarts ,Zauberflöte' bis zur ,Genoveva' von Schumann etwas macht. Wenn man diesen goldenen Schlüssel fände, das würde mich glücklich machen.“
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