Der mirakulöse Concentus Musicus
Sie haben den Concentus Musicus nun vor bald fünfzig Jahren gegründet, und er ist immer noch lebendig. Ein erstaunliches musiksoziologisches Phänomen.
Schon, ja.
Sie scheinen damit in der Tradition der Wiener Kammermusik zu stehen: Eine Gruppe von Freunden, von Eingeschworenen trifft sich in privatem Kreis und betreibt eine Art Experimentierlabor für Musik. So dürfte es auch zu Haydns und Beethovens Zeit gewesen sein.
Dieser Bezug ist mir nie bewusst geworden. Aber so kann man es sehen. Ja, anfangs haben wir uns mehrmals in der Woche getroffen, ohne die Absicht, aufzutreten.
Das ganze Projekt war sehr stark mit Ihrem Privatleben verwachsen, mit der Familie, mit Freunden.
In den ersten fünfzehn Jahren spielte sich die gesamte Probenarbeit in unserer Wohnung ab. Wir hatten ein großes Zimmer. Die Mitwirkenden brachten ihre Kinder mit, und die sind dann zusammen mit unseren in ein Kinderzimmer gebracht worden und durften nicht stören. Es kamen dann auch mehrfach Freunde zum Zuhören, mit denen wir die Resultate diskutieren wollten. Zuerst war es eher ein Experimentierfeld. Es wirkten nur Musiker mit, die sich interessierten und mehr wissen wollten. In der allerersten Vereinbarung hieß es übrigens: Wir machen fünfzig Prozent zeitgenössische Musik und fünfzig Prozent historische. Wir sagten uns damals: Es hat nur einen Sinn, wenn wir auch Zeitgenössisches machen.
Was haben Sie gespielt?
Zum Beispiel neue Sachen von Hindemith, der damals ja noch lebte und komponierte. Das bröckelte aber dann von selbst ab, und wir konzentrierten uns mehr und mehr auf das Alte – auch auf das sehr Alte, wir gingen zurück bis zur Musik am Papsthof von Avignon. Wir dachten: Zeitgenössische Musik spielen wir im Orchester ja ohnehin dauernd. Das waren vor allem die paar modernen Klassiker, die damals noch lebten, und die österreichische Avantgarde.
Ihr Arbeitsfeld hat sich dann erweitert, Sie haben Schüler bekommen, der Freundeskreis ist größer geworden. Der Kern war aber immer diese lose Gruppe, die keine Statuten und Reglemente kannte. Alles auf der Basis persönlicher Absprachen.
Das ist noch immer so.
Es ist faszinierend, dass ein Ensemble auf diese Weise funktioniert. Heute meint man ja, alles bürokratisch regeln zu müssen.
Es gibt ja jetzt jede Menge Ensembles für alte Musik, und die fragen uns immer wieder, wie es bei uns funktioniert. Möglichkeiten für Streit bestünden ja genügend, etwa bei der Verteilung der Mittel, oder bei der Programmwahl, oder bei der Auswahl der Mitwirkenden. Streitigkeiten, die die Existenz der Sache in Frage gestellt hätten, gab es bei uns nie. Heftige Diskussionen schon, die sind für mich selbstverständlich. Der Concentus ist wahrscheinlich etwas, das ich mir immer erträumt, aber nie konkret geplant habe. Ich wollte eine Art Orchester schaffen, um das zu realisieren, was ich mir heimlich vorstellte. Auf diese Weise ist der Concentus nach und nach entstanden. Gegründet haben wir ihn 1953, und das erste Konzert fand 1957 statt.
Wenn man diese Entwicklung durch die Jahrzehnte hindurch verfolgt, so könnte man sagen, dass aus dem ursprünglichen Kern eine Art Netzwerk geworden ist: Sie haben an vielen Orten Ihre ehemaligen Schüler, Ihre Kollegen und Freunde, mit denen Sie zusammen arbeiten können. Oder wenn Sie ein anderes Orchester dirigieren, dann haben Sie als eine Art Joker Alice Harnoncourt dabei, die irgendwo in der zweiten Geige mitspielt.
Na ja, nicht immer. In Zürich war das zum Beispiel der Fall. Als wir hier eine Gruppe mit alten Instrumenten gründeten, brauchte man sie wirklich. Sie war eine Art Schaltstelle. Und dann haben die Musiker sie gebeten, auch bei andern Sachen mitzuwirken. In Amsterdam an der Oper fragte man sie auch, ob sie mitmachen möchte. Die Wiener Philharmoniker würden sie wohl schwerlich mitspielen lassen, die Berliner auch nicht. Aber fast immer ist sie bei den Proben dabei und wird dann auch konsultiert. Jeder kennt ihre fachliche Kompetenz. Insofern ist die Basis schon breit, und es ist nicht nur mein Gehirn, das benutzt wird.
Um nochmals auf das Phänomen Concentus Musicus zurückzukommen: Die Art, wie er sich netzwerkartig vergrößert und im Musikleben durchgesetzt hat, ist wirklich einmalig, vor allem wenn man bedenkt, dass der ursprüngliche Geist auch heute noch, unter ganz anderen Bedingungen, lebendig ist.
Ja. Ich kann es auch nicht erklären. So wie Sie es beobachten, würde ich es nicht beschreiben, aber irgendwo trifft das schon zu. Eine schöne Sache. Jetzt, da ich sozusagen an den Rand meiner Lebenstätigkeit komme, frage ich mich natürlich: Ist das dazu bestimmt, weiter geführt zu werden, oder wird es mit mir enden? Darüber spreche ich auch mit den jüngeren Mitgliedern immer wieder, doch wir finden keine Antwort. Es wird sich schon irgendwie ergeben.
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