„Aida“ als Kammerspiel
Sie haben vor fünf Jahren einen Schritt zu einem neuen Repertoire gemacht, der viele erstaunt hat, die in Ihnen noch immer nur den Spezialisten für alte Musik, bestenfalls noch einen Dirigenten für Mozart und Schubert, gesehen haben. Sie haben damals Verdis „Aida“ dirigiert, und 2001 haben sie das Werk nun auch auf CD aufgenommen. Warum haben Sie bei Verdi gerade mit diesem Werk angefangen?
Für mich gibt es drei totale Opernkomponisten: Monteverdi, Mozart und Verdi. Da ist praktisch jeder Ton ein Teil des Dramas. Die ganze Palette des Musikdramatischen ist auskomponiert, bis zur Gestik und zum Subtext. Nachdem ich alle Opern von Monteverdi und Mozart dirigiert hatte, wollte ich unbedingt etwas von Verdi machen. Aber ich hatte lange das Gefühl, nicht genügend italienische Großmütter und also nicht wirklich italienisches Blut zu haben. Ich habe viel mit italienischen Sängern gearbeitet, und die haben mich immer wieder aufgefordert: Mach doch endlich einen Verdi, wir wollen das Requiem mit dir singen. Das habe ich übrigens inzwischen gemacht. So begann ich schließlich selbst an meine Verdi-Kompetenz zu glauben. Ich wollte eines der späteren Werke machen und eines, das mir besonders missverstanden schien, und da bot sich "Aida" an. Kein Mensch hätte sich gewundert, wenn ich "Falstaff" gemacht hätte. Da geht Verdi in seinem letzten Aufflackern noch einmal ganz in die Operngeschichte zurück. Aber das wäre mir zu evident gewesen. Vielleicht kommt das ja noch.
Inwiefern ist Ihre Deutung der "Aida" anders?
Ich glaube, man kann nicht von einer neuen Deutung sprechen. Ich befolge bloß Verdis Vorschriften genauer. Dass man auf Grund einer Szene von zehn Minuten dieses Werk so aufbauscht, dass man diese Hymne, die fälschlicherweise noch Triumphmarsch genannt wird, zum klanglichen Rückgrat des ganzen Werks macht und praktisch alles andere auf dieses Niveau hinaufzüchtet: das finde ich ein gewaltiges Missverständnis. Wie kaum ein anderer Komponist hat Verdi sehr genau beschrieben, wie er sich das Werk vorstellt. Er hat beschrieben, wie er die Sänger haben will, wie er das Orchester haben will. Die Flötisten mussten ihm vorspielen, und er überlegte, ob er Altflöte nehmen soll, usw. Wenn man sich dafür interessiert, kann man bei Verdi besser als bei irgend einem andern Komponisten in Erfahrung bringen, was er wirklich wollte. Ich weiß auch keinen Komponisten, der eine so genaue Vorstellung von der Dynamik hat. Er baut sie immer von den leisen Registern her auf! "Aida" ist geradezu ein Kammermusikstück. Da spielen oft nur zwei Geigen; beim Requiem verlangt Verdi manchmal nur vier Sänger im Chor. Normalerweise singen aber dreißig – warum, weiß ich nicht. Und es spielen ganze Orchestergruppen an Stellen, wo es nur zwei, drei Spieler sein sollen. Oder: Verdi schreibt bei einer Stimme ein vierfaches Piano, und der Sänger singt dann mit doppeltem Forte.
Wie waren die Reaktionen auf Ihre Interpretation?
Die waren sehr interessant. Einige der professionellen Hörer und ausgewiesenen Stimmenkenner haben mir vorgeworfen, ich hätte alles nur mit elektrischer Verstärkung machen können, weil es mit der Besetzung, die ich hatte, gar nicht möglich gewesen wäre, ein so groß instrumentiertes, lautes Stück adäquat wiederzugeben. Wären sie bei der Aufnahme im Saal dabei gewesen, hätten sie bemerken können, dass ich die Sänger immer bat, noch leiser zu singen. Niemand musste laut singen, um gegen das Orchester anzukommen. Sie hätten im Saal alles genau so hören können, wie es dann bei der Aufnahme herauskam.
Wo haben Sie die Aufnahme gemacht?
Im Musikvereinssaal in Wien. Das ist ein hervorragender Saal. Was dort gut klingt, kommt auch in der Aufnahme gut.
Warum gibt es diese Tendenz zum lauten Singen?
Die Sänger haben Angst vor einem zu lauten Orchester, und das Orchester hat Angst vor zu lauten Sängern, und so schaukelt sich das hoch. Die Sänger singen heute viel lauter als vor hundert Jahren. Man erkennt das am Repertoire. Wenn eine Sängerin, die die großen Partien von Wagner und Verdi gesungen hat, am Ende ihrer Karriere damals noch die Konstanze von Mozart singen konnte, dann konnte sie diese Wagner- und Verdi-Partien nicht so gebrüllt haben, wie sie heute meist gebrüllt werden. Weder Sänger noch Orchester waren früher so laut. Das heißt, man hat auf eine Kultur des Leisespielens geachtet. Die Werke wurden aus der Stille heraus entwickelt, und der Referenzpegel war nicht das Forte.
Bei „Aida“, wo die tragische Liebensgeschichte im Stil der Grand Opéra mit einer Staatsaktion konfrontiert wird, besteht natürlich besonders die Gefahr, dass der Klang zu groß dimensioniert wird.
Ja, aber diese Staatsaktion ist nur wenige Minuten lang! Wenn man dagegen bedenkt, wie leise das Stück anfängt und endet! Oder die subtilen Naturschilderungen des Nil-Aktes! Für mich war das eine sehr interessante Sache. Anschließend habe ich das Parallelstück, das Requiem, einstudiert. Das eine Werk, die "Aida", behandelt die Schrecken der Religion, wenn der Fundamentalismus überhand nimmt, während im Requiem die tiefe Religiosität Verdis stark und unverstellt zur Darstellung kommt.
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