Genie. Et cetera (summer 1997)
Er spricht fließend Mozart, Schubert, Brahms. Seine Zuhörer tun es nicht. Wenn die Zürcher, New Yorker und Grazer ihn trotzdem verstehen, muss das Gründe haben.
A talk with Franz Hirschmugl (printed in the magazine Graz derzeit, summer 1997.
Erstens. Er ist ein Genie.
„Ich bewundere Menschen wie Nikolaus Harnoncourt. Ich lerne bei jedem Zusammentreffen mit ihm etwas dazu. Mein Vertrauen in ihn ist so groß, daß ich bereit bin, alles mitzumachen, was er sich vorstellt.“
Gidon Kremer, Geiger
„Nikolaus Harnoncourt hat eine ungeheure Gabe: Er führt Werke so auf, wie sie gemeint waren. Ohne seine Meinung dazu aufzudrängen. Ich glaube, dass Schubert, Brahms und Kollegen selbst heftigst applaudieren würden.“
Helmut Konrad, Rektor
Zweitens. Er ist Musiker.
Nikolaus Harnoncourt wechselte nach 17 Jahren vom Cello ans Dirigentenpult. Weil ich nicht mehr unter anderen Dirigenten spielen wollte. Sagt. Er. Er habe genau gewußt, was er von einem Dirigenten wollte und was nicht. Das gibt er jetzt an seine Musiker weiter.
Der Orchestermusiker ist notwenigerweise ein verzweifelter Mensch. Es gibt keinen Orchestermusiker, der nicht mit großer Begeisterung Musiker geworden ist. Dann kommt er ins Orchester. Er hat in seinem Leben herrliche Orchestermusik gehört und sagt sich: Wunderbar, jetzt bin ich ein Teil davon. Aber schon der erste Dienst wird furchtbar. Da steht einer vor ihm, der hat ein - für ihn - nicht nachvollziehbares Konzept. Oder vielleicht hat der auch überhaupt kein Konzept. Trotzdem muss er so spielen, wie der das will. Im Laufe des Jahres hat der Musiker dann sechzig, siebzig verschiedene Leiter, ein jeder will was anderes, drei, vier davon können das, was sie wollen, sogar verständlich machen. Und dann verlangt man von einem Orchestermusiker auch noch Enthusiasmus. Es wäre doch verrückt, immerfort begeistert zu sein, wenn eigentlich kein Grund dafür da ist.
Wie halten Sie es mit Fehlern?
Musiker dürfen keine Fehler machen, meint man. Wenn aber alle so spielen, daß sie keine Fehler machen, dann spielen sie nicht mehr gut. Es gibt da ein Entweder-Oder, das heißt: Schönheit oder Sicherheit. Jedes mehr an Sicherheit muß bezahlt werden mit Schönheit. Das sind schlimme Verluste.
Im Fußball gibt es die Kabinenpredigt, wenn die erste Halbzeit nicht funktioniert. Gibt es das im Konzert auch?
Wenn ich enttäuscht wäre über das, was wir im ersten Teil gemacht haben, dann würde ich in der Pause nicht sagen: „Reißt's euch z'ammen!“. Ich rede in der Pause eigentlich nicht mit den Musikern, es sei denn, ich habe irgendwas vergessen. Es ist bei uns nicht wie in der Fußballkabine.
Es gibt natürlich Tage, an denen nicht alles so gelingt, aber ich glaube, wenn das nicht so wäre, das wäre ja unmenschlich. Wenn es nicht gut funktioniert, dann beziehe ich das auf mich, nicht auf die Musiker. Andererseits gibt es ja auch Sternstunden - da wissen Sie auch nicht, warum alles stimmt ...
Wie wissen Sie, ob ein Konzert gut war oder außerordentlich?
Wenn ich mich nach einem Konzert freue, dann finde ich, daß es gut war, und wenn ich nach einem Konzert traurig bin, dann denke ich, daß es schlecht war. Ich habe keine anderen Kriterien: Während des Konzerts bin ich ganz intensiv mit der Sache beschäftigt, und da bin ich nicht zugleich irgendein objektiver Beobachter, der von außen zuschaut und sagt: Macht er das jetzt eigentlich gut?
Drittens. Er ist Dolmetscher.
Nikolaus Harnoncourt wird gerne als Hohepriester der Authentizität gefeiert. Er selbst kann damit nichts anfangen.
Ich mag das Wort Authentizität nicht. Weil es gefährlich ist. Museumsmusik interessiert mich nicht. Ich habe nicht die Absicht, eine geführte Tour durch die Werke Bachs zu machen.
Was Harnoncourt interessiert, ist die zeitgemäße Interpretation der Alten Musik. Er war es allein, der den Originalklang-Ensembles zum Durchbruch verholfen hat. So gründlich, daß es heute schon recht komisch anmutet, wenn ein Orchester mit modernen Instrumenten Bach spielt. Aber der Originalklang an sich interessiert ihn nicht. Er ist nur Mittel zum Zweck, das, was der Komponist von einst wollte, einem Publikum von heute zu vermitteln.
Kunst und Leben sind heute nicht mehr synchron, das ist für mich ein Symptom, daß irgendetwas nicht mehr in Ordnung ist. Früher hörte man Musik, die soeben komponiert wurde. Wenn wir heute mehr die Musik der Vergangenheit als Zeitgenössisches hören, dann berührt das auch die Frage nach der Sprachlichkeit der Kunst. Alte Musik spricht ja die Sprache einer anderen Zeit. Sie sagt etwas, was damals für die Zeitgenossen bestimmt war. Für die war das essentiell wichtig, für uns nicht mehr. Frühere Generationen haben nur die Musik ihrer Zeit gespielt, wir spielen heute die Musik von zehn Generationen. Und da sollen wir alles wissen, alles richtig verstehen, richtig spielen und in den fremden Sprachen herumwandern? Ich glaube das geht überhaupt nicht.
Ich finde die heutige Form des Konzertes ist sehr überdenkenswürdig. Man müsste sich überlegen, wie man Konzerte besser macht. Man lässt die Leute mehr oder weniger ahnungslos kommen, zwingt sie, sich in Reihen hinzusetzen und zu warten. Dann kriegen sie was vorgespielt, sollen sich ruhig verhalten und dann sollen sie an der richtigen Stelle klatschen und sollen bestimmte Gefühle haben ...
Das ist diese - man könnte sagen bürgerliche Form der Abendunterhaltung. Es wäre mal wieder Zeit darüber nachzudenken, ob das alles richtig ist und ob das gut ist und ob das den Werten entspricht, die man liebt, ob die Hörer, die da kommen, dasselbe wollen wie die Musiker, die das spielen. Also, ob da nicht unter Umständen der Wunsch und die Realität auseinanderklaffen.
Bei Händels „Alcina“ während der Wiener Festwochen haben wir zum Beispiel das Publikum nicht eingeführt. Daran bin auch ich schuld. Natürlich kann man das nicht im Rahmen der Inszenierung machen, wir können ja keine Volkshochschule sein. Aber irgendetwas ist nötig.
Viertens. Er ist Schauspieler.
Nikolaus Harnoncourt wurde als Johannes Nikolaus de la Fontaine und d'Harnoncourt-Unverzagt geboren, aufgewachsen ist er im Grazer Palais Meran seines Ururgroßvaters Erzherzog Johann, in den ferien in der Meranschen Sommerresidenz, am Brandhof. Die Linie väterlicherseits führt bis zu Karl dme Großen, die Frau Mama brachte Habsburger-Blut in die Familie.
Wer solche Wurzeln hat, ergibt sich der Deformations der geschichte. Und ist dann nach wie vor „von“ irgendetwas.
Oder er begegnet der mittlerweile ziemlich unaristokratischen Welt mit sarkastischer Grandezza.
Nikolaus Harnoncourt hat sich für zweiteres entschieden. Er duelliert sich beim styriarte-Kinderkonzert mit Josef Hader zum Thema „Ist Mozart mit Perücke zum Semmelkaufen gegangen?“. Er liefert in Wien zur styriarte-Pressekonferenz eine Stunde lang beißenden Witz ab (Origial-Ton: „Wenn man in Zürich Oper vor einem Publikum, das Italienisch kann, aufführt, glaubt man dann hier in Wien vor Taubstummen zu spielen“), um sich dann kokett zu entschuldigen: „Verzeihen Sie, ich wollte kein Kabarett machen.“
Warum, Maestro, schlurfen zum Pult, als würden Sie es bis dorthin gerade noch schaffen?
Was machen Sie, wenn Sie konzentriert sind? Gehen Sie dann schnell? Ich nicht. Dann haue ich mir nämlich den Kopf irgendwo an. Also, ich muss schauen, daß ich irgendwie zu meinem Platz komme - ohne, daß ich falle oder mir ein anderes Missgeschick passiert und so, dass meine Konzentration nicht abreißt. Ich konzentriere mich auf das, was ich in der nächsten Stunde tun werde. Würde ich in dieser Situation darauf achten, wer denn da jetzt bei den Geigen sitzt - dann haue ich mir das Knie an bei einem Sessel.
Wenn Sie da auf solche Schlüsse kommen, dann hatten Sie wahrscheinlich den falschen Psychologieprofessor, der ihnen gesagt hat: „Schlurfender Gang bedeutet: ist nicht gut drauf, mangelnde Konzentration.“ Vielleicht bedeutet „schlurfender Gang“ aber höchste Konzentration? Vielleicht aber auch so etwas wie Reibungselektrizität der Fußsohlen ...
Fünftens. Er ist Weltstar.
Das Leben hält ja bekanntlich keinem Vergleich mit dem Fußballsport stand. Gäbe es also eine Weltmeisterschaft der Dirigenten, Nikolaus Harnoncourt wäre ein Platz auf dem Stockerl sicher. Keine Frage, daß ein Mann von solchem Ruhm sich in seiner Arbeit jenen Luxus erlauben kann, den er im privaten Leben nicht braucht. Legendär ist da eine Geschichte von Harnoncourts kulinarischer Anspruchslosigkeit, die seine Frau Alice, nebenbei seine Konzertmeisterin, Solistin, Managerin, Mutter von vier Kindern und Hausfrau, erzählt hat: „Wir haben jahrelang von Kartoffeln mit Salat gelebt. Das ist dann einmal in einer Zeitung gestanden, und daraufhin wurde mein Mann in die Direktion der Wiener Symphoniker zitiert. Man hat ihm mitgeteilt, ein Mitglieder der Wiener Symphoniker hätte es nicht notwendig, nur Kartoffeln mit Salat zu essen“. Welchen Luxus leisten Sie sich?
Ich arbeite von vornherein nur noch mit einer Hand voll Orchestern. Ich bin jetzt nicht mehr bereit, wieder grundsätzliche Arbeit zu machen mit einem Orchester, das noch nicht auf höchstem Niveau ist. Jedes Orchester hat sein eigenes Profil, jedes Orchester hat seinen eigenen Klang - wenigstens jene, mit denen ich arbeite - und dieses Profil und diesen Klang, den will ich, den liebe ich und den will ich auch nicht verändern.
Dann muß der Veranstalter in der Lage sein, auf irgendeine Weise das Projekt, das ich mir vornehme zu ermöglichen . Das ist eine wichtige Frage. Wenn er sagt: „Machen Sie es auf irgendeine Art und Weise, aber es darf nicht mehr als 10 Schilling kosten“, dann geht's nicht.
Ich leiste mir auch Orte: Der Einfluss des Ortes heißt für mich die Aura des Ortes einerseits und das Publikum andererseits. Es gibt Orte, an denen ist man gern. Weil man die Mentalität mag. Es ist ja kein Zufall, warum ein Mensch an diesem Ort lebt oder an einem anderen Ort. Menschen suchen sich ja ihre Lebenszelte nach ihrem Charakter aus. Ich suche mir meine Orte auch nach diesem Gesichtspunkt aus. Das Publikum spielt eine ungeheure Rolle für die Interpretation, weil vom Publikum ein Inspirationsstrom ausgeht - auf mich und auf die Musiker. Das Publikum - kann man ruhig sagen - gestaltet mit an der Aufführung. Das spürt man nicht erst im Konzert, das kann ich eigentlich jetzt schon von jedem Ort im vorhinein sagen.
Im Prinzip gehe ich nur gern an solche Orte, wo ich die Säle mag. Der Saal spielt natürlich eine enorme Rolle, weil der Saal ist wie ein Musikinstrument. Ein Saal - voll mit Menschen - hat einen ganz bestimmten Klang - die Art und Weise, wie er den Klang des Orchesters zurückgibt. Da gibt es wunderbare Säle, es gibt Säle, die man akzeptieren kann und es gibt verheerende Säle, brutale Säle.
Sechstens. Er ist Workaholic.
47 Konzerte, 32 Opernabende in den letzten zehn Monaten - jeden vierten Abend steht Nikolaus Harnoncourt im Durchschnitt am Pult. New York, Zürich, Amsterdam, Berlin, Graz etc. Ein ordentliches Pensum, selbst für einen Mann, dem man seine Jahresringe nur an der Geburtsurkunde (Jahrgang 1929) ablesen kann.
Das ist aber nur jener Teil seiner Arbeit, die Nikolaus Harnoncourt in der Öffentlichkeit leistet. Tagsüber studiert er: Partituren, Literatur, historische Orchesterstimmen - alles, was die Archive von Berlin bis Wien zur Verfügung haben. Wie haben Sie das z. B. mit dem Brahms Symphonien für die styriarte 1997 gemacht?
Ich führe Werke nicht sehr oft auf - das ist gefährlich, das nützt sich ab. Ich versuche, dass da ein gewisser Abstand ist, daß das wieder frisch ist und jedesmal, wenn ich es wieder aufführe, versuche ich neu an die Sache heranzugehen. Es ist nicht gut, wenn man einfach ein einmal gefasstes Konzept wiederholt.
Ich habe die Brahms-Symphonien in meiner Orchesterzeit sehr oft gespielt, unter allen bedeutenden Dirigenten - zwischen 1952 und 1969. Als ich dann begann, sie selbst zu gestalten, zu dirigieren, da habe ich mich mit jeder Symphonie sehr sehr lange auseinandergesetzt. Mit der Partitur, mit den Quellen - das dauerte etwa einen Monat lang, später immer wieder ein paar Tage.
Wenn ich mich auf die styriarte vorbereite, sind es wieder einige Tage. Von der Arbeit her betrachtet sind Proben und Konzert nur die Spitze des Eisbergs: Wenn ich ein Werk von einer Stunde aufführe, dann können Sie davon ausgehen, daß es vorher ein Hundertfaches an Arbeit für mich gegeben hat.
Siebtens. Er ist Psychologe.
Ein Orchester, sagt Nikolaus Harnoncourt, ist eine Gruppe von außerordentlich verschiedenartig konditionierten Menschen. Oft, meint er, haben Musiker in Probenpausen nichts miteinander zu reden, weil sie außer Musik nichts gemeinsam hätten. Nach dem Studium sind also die Proben der zweite Teil der Pflicht, vor der Kür der Aufführung. Wie machen Sie das mit den Proben?
Ich teile meine Zeit sehr genau ein, und ich wäre sehr unglücklich, wenn das einmal nicht so wäre. Mit den Orchestern, mit denen ich arbeite, könnte man natürlich jedes Stück ohne Proben spielen. Aber man würde es eben nur spielen. Ich will ja die Stücke nicht spielen, ich will sie gestalten.
Ich kenne die Orchester, ich weiß, wieviel Zeit man zum Proben braucht. Ich habe manchmal reichlich Probenzeit, manchmal aber kommt es durchaus vor, dass aus irgendwelchen Sachzwängen, die ich nicht beeinflussen kann, die Probezeit geringer ist, als ich sie gerne hätte.
Ich finde, was unsere Professionalität ausmacht ist, daß wir selbst nach relativ wenig Proben oder an einem schlechten Tag, an dem wir nicht gerade von der Muse geküsst sind, noch immer so viel leisten müssen, daß das Publikum nicht das Gefühl hat, es wird um seine Wünsche betrogen. Das muß sein.
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