domingo, 27 de septiembre de 2009

HARNONCOURT: PROMETHEUS UND GORILLA

Prometheus und Gorilla

Sie haben immer wieder betont, dass Musik für Sie ein Teil des Lebens ist – des Lebens ihrer Entstehungszeit, aber auch unserer Gegenwart.

Das ist sehr wichtig für mich. Das sehe ich so für alle Kunst. Ich glaube, dass die Schwelle zum Menschsein durch die Kunst bestimmt wird.

Könnten Sie das etwas ausführen?

In dieser Kürze geht das vielleicht am besten am Beispiel des Prometheus-Balletts von Beethoven. Es ist ein relativ frühes Werk von ihm, wirkt aber stark in sein späteres Schaffen hinein; er kommt immer wieder darauf zurück. Ich betrachte es als eine Art künstlerisches Glaubensbekenntnis von Beethoven. Das Konzept ist folgendes: Prometheus schafft zwei Tonfiguren. Er kann sie zwar beleben, aber es ist ihm unmöglich, ihre Liebe zu erlangen. Sie sind gefühllos, und Prometheus verzweifelt daran, dass sie ihn nicht als ihren Schöpfer lieben können. Doch dann – das ist nun wirklich etwas verkürzt – gibt es einen Moment, da sie durch die Berührung mit den Musen beseelt und liebend werden. In diesem Moment sieht er, dass das Menschen sind mit Leib und mit Seele. Und nun springe ich zu einer Aussage von Pascal, die mich sehr beeindruckt hat. Er sagt: Es gibt zwei Denkweisen, die "raison aritmétique", das arithmetische, rationale Denken – dazu zähle ich auch das römische Recht und die Logik – und es gibt die "raison du coeur", das Denken des Herzens. Und in dieser "raison du coeur" gibt es keine Logik, kein System von Ja und Nein. Hier kann man verschiedene Überlegungen sozusagen hypothetisch überspringen, und das Gefühl ist stets im Vordergrund. Die Sprache dieses Denkens ist die Kunst. Im darwinistischen System ist diese Sprache nicht erreichbar. Ich kann mir das Tier nicht vorstellen, das Sprache dazu verwendet, um zu sagen: "Über allen Gipfeln ist Ruh." Ein noch so weit entwickeltes Tier benützt alle seine Fähigkeiten zum Balzverhalten, um eine Nuss aufzuknacken oder um irgend etwas "Nützliches" zu erzielen.

Zur unmittelbaren Reproduktion des Lebens.

Ja. In eine andere Richtung kann es nicht denken. Ich meine, dass auch all die technischen Errungenschaften der heutigen Menschen in diesem Bereich liegen. Der Gorilla, der den kompliziertesten Computer erfindet und bedient, ist mir durchaus geläufig. Aber der Gorilla, der die g-moll-Sinfonie von Mozart schreibt oder nur ein Gedicht von Goethe oder von wem immer – den gibt es nicht. Dazwischen ist der Musenkuss. Das meinte ich, als ich von Beethovens Prometheus sprach. Es gibt hier etwas Transzendentales, das sich der Erklärung entzieht.

Im heutigen Kulturbegriff scheint dieser Aspekt eine zunehmend geringe Rolle zu spielen.

Ich fürchte, heute entwickelt sich unsere Welt so, dass man das nicht mehr versteht. Man richtet sich immer mehr nach dem Zweckhaften, das zum anderen, zum technischen Aspekt gehört. Wohlverstanden: Das zweckgerichtete Denken ist sehr wichtig und muss sein. Aber wenn es Ausschließlichkeit beansprucht, besteht die große Gefahr, dass wir zu Bestien werden. Denn die Logik kennt keine Moral. Deshalb bin ich der Meinung: Die Kunst ist ein absolut notwendiger Bestandteil unseres Lebens. Es muss neben dem logischen auch das phantastische Denken geben. Die Pädagogen kommen immer mehr darauf, dass die Menschen, die mit Kunst aufwachsen, auch im Zweckbereich viel besser denken können, weil sie einfach verschiedene Gehirnteile für viel mehr verschiedene Vorgänge benutzen können als andere Leute. Darauf dürfen wir nicht verzichten. Ich sehe die große Gefahr, dass diejenigen, die zuständig sind für Bildung und Ausbildung, also die Politiker, das Problem überhaupt nicht begreifen und daher leichtfertig auf die Förderung dieser menschlichen Eigenschaften verzichten. Aber wenn Traditionen abreißen, sind sie nicht mehr erneuerbar. Ich weiß nicht, wo das hinführt, aber ich beobachte diese Entwicklung mit pessimistischen Gefühlen.

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