Widerspruchsgeist
Sie haben damals im Orchester gelernt, wie man es nicht machen soll.
Ja, das vor allem.
In ihrem Leben und auch in Ihren Aufsätzen kommt von Anfang an immer wieder ein Moment der Verweigerung ins Spiel. In den sechziger Jahren wurde Verweigerung zu einer Art Lebensmaxime für viele junge Leute: Man akzeptierte nicht, was einem die Gesellschaft vorgab, sondern suchte nach eigenen, notwendigerweise oppositionellen Wegen. Waren Sie sich in den fünfziger Jahren schon bewusst, dass diese Haltung Teil einer gesamtgesellschaftlichen Strömung war oder bald sein würde?
Nein, überhaupt nicht. – Für einen Achtundsechziger bin ich zu alt.
Haben Sie sich strikt als Einzelner verstanden?
Ich glaube, das hat mit der Zeit zu tun. Ich bin ein echtes Kriegskind, 1929 geboren, und habe die Nazizeit wirklich hautnah erlebt. Mit zehn Jahren musste ich zur Kinderorganisation der Hitlerjugend gehen, und hätte ich mich geweigert, hätten sie mich geholt und mir die Haare geschoren. Da bin ich nicht gefragt worden, das war keine Frage der Entscheidung. Wir waren eine große Familie, fünf Buben und zwei Mädchen, mit einem sehr lebhaften und interessierten Vater. Bei jedem Mittagessen war die ganze Familie zusammen, und da wurde immer diskutiert. Von klein auf nahm ich immer die Gegenposition ein. Ich bin keiner, der zustimmt. Das kann ich erst dann, wenn ich auch die Gegenposition bedacht habe. Ich habe auch selbst gern Widerspruch – ich brauche jemanden, der meine Gedanken in Frage stellt. Wenn ich keinen Partner habe, gibt es notfalls auch eine heftige Diskussion mit mir selbst. Diese Art von Widerspruch war am Anfang sehr stark politisch bestimmt. Als neunjähriges Kind kaufte ich mir in einem Antiquariat ein Buch über Selbsterziehung (von Tihamér Toth). Ich wählte damals einen Leitspruch für mich, und der hieß: "Wenn alle: ich nicht". Das war mir damals wichtig. Wir wurden gedrillt, "jawohl!" zu sagen. Wenn sich ein Führer vor die Einheit stellte, musste die ganze Einheit "Jawohl" sagen. Ich war sehr stolz, wenn es mir gelungen war, es nicht zu sagen oder sogar etwas dagegen zu sagen. Dafür habe ich auch Schikanen in Kauf genommen. Dieses Anderer-Meinung-Sein, das Alles-Infragestellen, ist etwas, worunter ich manchmal auch ein wenig leide. Aber bis heute ist das eine Kerneigenschaft von mir. Wenn ich zum Beispiel etwas über Musik lese, dann ist meine erste Reaktion: "Das stimmt nicht."
Lesen Sie mit dem Bleistift?
Immer. Ich lese immer mit dem Bleistift. Auch ganz simple Sachen werden am Rand kommentiert, und zunächst bin ich eigentlich immer dagegen. Das geht bis zur Lächerlichkeit. Bei unserem Gespräch habe ich jetzt natürlich wieder Angst, dass ich als reiner Widerspruchsgeist ankomme, weil ich dieses Moment gerade so stark hervorgehoben habe. Zugleich muss ich aber sagen: Ich bin sehr glücklich, wenn ich irgendwo zustimmen kann. So ist es fast bei allen Fragen, die man mir stellt: Eigentlich müsste ich immer mit Ja und Nein antworten.
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