Einer vom anderen Stern (1/2006)
Nikolaus Harnoncourt, der bedeutendste Mozart-Intertret unserer Zeit, über Mozarts unerklärliches Genie, den Wandel des Mozart-Stils und die Gefahren der Kommerzialisierung im großen Mozart-Jahr 2006.
Interview by Ernst Naredi-Rainer, January 8, 2006
Angesichts der Aktivitäten zum 250. Geburtstag stellt sich die Frage, warum ist Mozarts Musik so populär?
Das will ich gleich in Frage stellen. Ich glaube, dass Mozart wahnsinnig populär ist. Das hat mit seiner Vita zu tun – Briefe, Vater, Schwester, Salzburg, Kleinstadt – und wurde schon sehr früh, etwa von E. T. A. Hoffmann, aufgeblasen. Und das hat seine Musik mitgenommen.
Hängt das mehr mit der Biographie oder mit den Klischees zusammen?
Nur mit Klischees. Die wirkliche Biographie gibt es gar nicht. Ich glaube überhaupt kein Wort, das von einem Biographen oder Historiker geschrieben worden ist. Ich weiß über die Person Mozart nichts. Was ihn so herausragend macht, ist nur die Musik.
Was zeichnet Mozarts Musik aus?
Wenn ich es wüsste, wäre ich wahrscheinlich auch Mozart.
Aber es muss doch einen Unterschied zur Musik seiner Zeitgenossen geben?
Den muss es geben, weil wir sofort elektrisiert werden, wenn wir einen Ton von ihm hören und überhaupt nicht elektrisiert sind, wenn derselbe Ton von Antonio Salieri oder Josef Myslivecek kommt.
Wie können Sie den Unterschied dingfest machen?
Ich kann es nicht. Wenn wir mit allem, was wir über die Besonderheit der Musik Mozarts wissen, einen Computer füttern, kommt Ditters von Dittersdorf oder Salieri heraus.
Ist Salieri schlechter aIs Mozart?
Hundert Mal, tausend MaI!
Was kann man Salieri vorwerfen?
Gar nichts. Das ist ein erstklassiger Komponist.
Was macht dann den großen Abstand zu Mozart aus?
Der Musenkuss. Mozart ist von einem anderen Stern, er steht auf einer anderen Basis.
Bietet Mozarts Musik mehr Überraschungen?
Überhaupt nicht. Sie können vielleicht mehr Überraschungen bei Salieri finden. Beethoven hat auf jeden Fall mehr Überraschungen als Mozart. Das pure Können, alles, was man lernen kann, das können andere auch. Aber damit ist es nicht getan. Es genügt nicht, alles zu können.
War Mozart eigentlich schon als Kind ein fertiger Komponist?
In gewisser Hinsicht – ja. Das, was er ist, was seine Klaue ist, das ist von Anfang an da.
Gibt es bei Mozart keinen Entwicklungsprozess?
Den gibt es schon. Er hat natürlich das Handwerk nicht fertig beherrscht, als er auf die Welt kam. Was er gehabt hat, war der Musenkuss. Was er im jeweiligen Stadium seines Lebens gemacht hat, war immer begnadet.
Hängt die Popularität von Mozarts Musik mit der Art und Weise zusammen, in der sie aufgeführt worden ist, nämlich mit ihrer Verharmlosung?
In der Nazi-Zeit wurde Mozart bei den Salzburger Festspielen bewusst als Rokoko-Apollo hingestellt. Das hat sich dann lange gehalten. Viele, aber nicht alle Werke von Mozart sind so, dass sie an der Oberfläche schon wunderbar die Kehle hinuntergehen, da braucht man überhaupt nicht in die Substanz gehen. Diese Oberfläche kann von musikalisch völlig Ungebildeten bis hin zum Musikphilosophen sofort akzeptiert werden. Wenn man zu kratzen anfängt, merkt man erst, dass da noch immer etwas ist und dass man bei weitem noch nicht alles gehört hat. Wenn Sie bei anderer populärer Musik kratzen, finden Sie hingegen nichts mehr.
Zwischen dem Mozartjahr 1956 und 2006 hat sich ein großer Stilwandel vom verzärtelten Mozart hin zu schroffen Tönen und scharfen Akzenten ereignet, an dem Sie maßgeblich beteiligt waren. Erlebten Sie viel Widerstand?
Die Widerstände habe ich vor allem in mir erlebt. In den fünfziger Jahren bin ich im Orchester gesessen und habe viel Mozart gespielt, auch bei Plattenaufnahmen seiner Opern mit dem berühmten Wiener Mozartensemble mitgewirkt. Ich war ein einziger Widerstand, ich habe das fast nicht ausgehalten.
Sie haben einmal Mozarts Werk mit einem großen Ameisenhaufen verglichen, auf dem die Interpreten herumkrabbeln, ohne zu wissen, was sich auf der anderen Seite tut.
Das Bild gilt für das Meisterwerk. Das ist der Grund, warum sich die Interpretationsgeschichte wandeln kann, ohne dass man so einem Werk eine Qual antut: Weil man die Gesamtschau einfach nicht mehr haben kann. Ich bin weit entfernt davon zu glauben, dass das, was ich erreicht habe, jetzt AlIgemeingut bleibt, von dem man in den nächsten Generationen nicht mehr weg kann. Ich bin ganz sicher, dass nicht lang nach meinem Ableben die Mozart-Interpreten auf dem Ameisenhaufen einen halben Meter herumgehen und eine andere Seite sehen werden.
Sehen Sie das Mozart-Jahr als Gefahr oder als Chance?
Beides, aber mehr als Gefahr, denn die Vermarktung, Kommerzialisierung und die Umwegrentabilität, die man sich davon verspricht, sind für mich der reinste Horror.
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