Schwanger wie ein Elefant (10/1993)
„Ich habe geglaubt, ich würde nie etwas von Bruckner machen, aber meine Auseinandersetzung mit Brahms hat mir Bruckner interessanter gemacht. Vielleicht werde ich also auch Wagner machen.“
Interview by Kenneth Smith (Keybord Classics, USA) and Bruno Re (L'Independente, Italy), taken during the styriarte festival 1993 (excerpts printed in the magazine Graz derzeit in october 1993).
Man hat Sie mit dem Titel eines „musikalischen Puristen“ versehen. Haben Sie diesen Titel angestrebt oder ist er aufgezwungen?
Ich bin überhaupt kein Freund von Einordnungen, weil ich für Veränderungen frei sein und nicht später noch an meine eigene Lehren von vor 20 Jahren gebunden sein will. Wenn ich also etwas sage oder anstrebe, möchte ich kein Dogma daraus machen. Aber es ist so in der Kunst: Wenn man irgendetwas macht, wird man eingeordnet.
Unter welchen Voraussetzungen würde Sie eine solche Einordnung akzeptieren?
Unter keinen. Ich kann keine Einordnung akzeptieren. Ich bin ein ganz normaler Musiker. In den 30er Jahren habe ich mit meinem Vater zu Hause alles von Mozart bis Gershwin gespielt. Wir haben mit Mozart begonnen, weil mein Vater ein sehr guter Pianist war. Sein Bruder war beschäftigt im Museum of Modern Arts in New York, und er schickte meinem Vater alle neuen Kompositionen von Gershwin. Ich glaube, ich war der erste Österreicher, der „Of Thee I Sing“ und die unbekannten Stücke Gershwins kannte - weil mein Vater sie spielte. Sie sehen also, dass keine besondere Ausrichtung mit im Spiel war, als ich sehr jung war. Es gibt keine Musikerperiode, die mich nicht interessiert. Aber es gibt gewisse Komponisten oder Stile, die ich nicht mag. Ich habe keine Antenne dafür, dashalb mache ich es nicht - aber es ist nicht die Periode, es ist ein gewisser Stil.
Sie haben gesagt, dass Musik ein essentieller Bestandteil des Lebens ist. Wie können Sie damit vereinbaren, hauptsächlich Musik von gestern für das Publikum von heute zu spielen?
Ich glaube, dass dies ein Krankheitssymptom ist. Denn das Normale ist, dass jede Zeit ihre eigene zeitgenössische Musik hat. Zu Mozarts Zeit war es bei einer Hochzeit undenkbar, nicht Musik zu haben, die zur damaligen Zeit komponiert wurde, vor einer Woche oder einem Jahr. Niemand war an alter Musik interessiert - außer für Studienzwecke. Das veränderte sich schrittweise und langsam in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Trotzdem war da noch immer die Uraufführung einer Bruckner-Symphonie wichtiger als jede Wiederholung einer Beethoven-Symphonie. Das hat sich mehr und mehr verändert, und es bleibt eine große philosophische Frage, warum wir nicht mit unserer eigenen Kultur leben. Dasselbe gilt für Malerei und Literatur, und ich glaube, es müßte das Ziel sein, wieder zurück zu Synchronizität zu kommen. Ich kann da nichts machen. Ich bin nicht der Grund für diese Abweichung, und die Komponisten sind es auch nicht. Ich habe selbst große Schwierigkeiten, moderne Musik aufzuführen. Es ist nicht sehr bekannt, aber ich habe die Weltpremiere von Berios „Rendering“ gemacht. Es ist also nicht so, daß ich nur ein Barock-Spezialist bin - aber ich habe Schwierigkeiten. Ich spüre, daß die Weise, wie ich mich Mozart und barocker Musik - welcher Art auch immer - annähere, mir vertrauter ist. Die meisten der modernen Komponisten mögen meine Aufführungen Alter Musik sehr... Deshalb glaube ich, daß ich die Ohren des Publikums in diese Richtung öffnen könnte. Vielleicht werde ich, wenn ich lange genug lebe und geistig jung genug bleibe, auch in diese Richtung gehen.
Wenn Sie eine Saison zusammenstellen - was nehmen Sie in Ihre Planung auf?
Ich plane Jahre im voraus. Ich gehe so lange schwanger wie ein Elefant - die Schwangerschaft dauert manchmal zehn Jahre. Die „Hühnerschwangerschaft“ hingegen dauert so an die zehn Wochen - und wenn ich etwas interessant gefunden habe, kann es sein, daß ich das Konzert ein paar Wochen oder Monate später mache. Brahms brüte ich jetzt seit Jahren aus, was jedoch interessant für mich ist, und was ich nicht erwartet habe, ist: Während ich Brahms ausbrüte, bringt das Ei, das ich ausbrüte, Bruckner hervor. Ich war sehr erstaunt darüber, dass dasselbe Huhn, das Brahms ausbrüten kann, ein Kuckucksei legt. Ich habe geglaubt, ich würde nie etwas von Bruckner machen, aber meine Auseinandersetzung mit Brahms hat mir Bruckner interessanter gemacht. Vielleicht werde ich also auch Wagner machen. Nicht alles, nur ein oder zwei Werke. „Tannhäuser“ oder „Lohengrin“ würde ich nicht machen. Ich werde möglicherweise die „Meistersinger“ oder den „Ring“ machen. Das könnte möglich sein.
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